Langbeschreibung
Wie als wenn eine Allsichtbarmachung ihres Daseins endlich möglich wäre, greift bei Millionen Menschen in den florierenden Ökonomien des digitalen Kapitalismus das Fotografieren mit Smartphones um sich. Bildermyriaden, überwiegend unabgrenzbar das Öffentliche und Private, das Gewollte und Kontingente, das Bewusste und Unbewusste vermischend, rauschen täglich durch die globalen Datenkanäle, werden geteilt, 'geliked', getwittert, gepostet, kopiert und gelöscht. Nichts ist hier alt und nichts bleibt im Verborgenen, weshalb für einige unterdrückte Künstler solche kettenfotografischen Daseinsbehauptungen lebensrettend geworden sind. Waffe oder nicht, Neudaseins-Fotografie erzeugt eine pure und endlose Präsenz, weil jederzeit ein neues das Bild zuvor überschreibt und an die Stelle eines alten tritt. Keine Fotografie der Erinnerung, sondern eine der sozialen Wirkung von Daseinsinszenierungen. Epistemologisch liegen dieser Bilderrasanz reversible Produkte der Quantenmechanik zugrunde, pure Datenmuster, die bei korrekter algorithmischerBehandlung jede beliebige Form annehmen und also auch Bilder mit allen Merkmalen der klassischen Fotografie - sofern berechenbar - repräsentierenkönnen. Die Komplexität der Technik ('Active-Pixel-Sensor') und die Geschwindigkeit, mit der alles abläuft, erzeugen in ihrer sozialen Wirkungjederzeitige Sichtbarkeit aller Phasen des Prozesses und verführen damit zueinem prozeduralen Mystizismus, der soziale Realitäten des Umgangs mitdem eigenen und dem fremden Bild weitgehend neu konfiguriert. NeudaseinsFotografie ist 'Fotografie auf dem Chip', bei der ein Hin- und Draufhaltenreicht und damit Fotografen und andere Begegnungen mit absichtsvollenMenschen quantenmechanisch herausgerechnet sind. Alles Entropische, also z.B. Überlegungen und Gedanken, die überprüft oder hinfällig werden könnten, sind passé. Es gelten nur noch die einfachsten Konventionen für ein Was, Wo, Hier und Da des bilderzeugenden Draufhaltens ('The Best Camera Is The One That's With You'), um ein neues existentielles 'Being There' auf allen Seiten zu eröffnen. Neudaseinsbilder sind deshalb so inhärent kapitalistisch, weil sie ein paradoxales Dasein erzeugen, an dem nichts hängt und zugleich alles, solange es stetig Neues erzeugt, das die sozial-digitalen Netzkanäle füllt. Neudaseins-Fotografie erlaubt in diesem Spiel der Überschreibungen und Ersetzungen ungeahnte soziale Profilierungen und Regime des Selbst, weil es ohneEntropie und völlig angstlos mit den Diskursen des Bildlich-Unbewussten zurechnen scheint. Noch das Erschreckenste, das dabei auftauchen mag (weil esja auch das Unbewusste selbst ist, das rechnet), kann jederzeit wieder weggerechnet werden, spurenlos durch ein neues Bild oder die Delete-Taste.