Langbeschreibung
In den Jahren 1989/90 vollzog sich in atemberaubender Dynamik die deutsche Einigung. Über 50 Zeitzeugen, darunter Bürgerrechtler, Botschafter und Diplomaten, Funktionäre und Politiker, Theologen wie auch Akteure aus den Bereichen Banken, Finanzen und Wirtschaft, Gewerkschaften, Industrie, Kommunikation, Medien und Nachrichtendienste, Kulturwissenschaft, Landwirtschaft, Abrüstung, Sicherheit und Verteidigung, Geheimnisträger der Aufklärung, Spionage und Grenzsicherung sowie Oberbürgermeister der großen deutschen Städte und nicht zuletzt Frauen sowohl als Akteurin als auch Betroffene konnten in den letzten fünfzehn Jahren vielfach auf letztmalige Weise eingehend befragt werden. Abschließende Bewertungen durch einen Politikwissenschaftler und Historiker beschließen den Band.Durch gezielte Interviews konnten Lebensläufe der Akteure rekonstruiert, zentrale Ereignisse der deutsch-deutschen Geschichte analysiert sowie über die deutsche Einheit Bilanz gezogen werden. Teils selbstkritisch, teils hautnah berichten die Zeitzeugen über ihre Erlebnisse. Getroffene Entscheidungen und wegweisende Handlungen, aber auch Fehleinschätzungen und Versäumnisse kommen zur Sprache. Die außergewöhnliche, weil in dieser Form einzigartige und auf die relevanten Daten der deutsch-deutschen Nachkriegs-, Teilungs- und Vereinigungsgeschichte eingehende Dokumentation liefert neue Einsichten und weitere Erkenntnisse sowohl über den politischen Umbruch in Ostdeutschland und das Ende der DDR als auch zur Einheit Deutschlands im deutsch-deutschen und europäischen Kontext. Bis heute ist eine weitgehend geteilte Erinnerung an die historischen Geschehnisse aus Ost und West feststellbar, die auf ein gespaltenes deutsches Geschichtsbewusstsein verweist.Die Zeitzeugengespräche führten die Herausgeber mit Egon Bahr, Friedrich Bauer, Wolfgang Berghofer, Sabine Bergmann-Pohl, Burkhard Berndt, Joachim Bitterlich, Klaus Blessing, Norbert Blüm, Hans Otto Bräutigam, Bernhard Brinkmann, Lothar de Maizière, Eberhard Diepgen, Peter-Michael Diestel, Manfred Domagk, Jürgen Engert, Rainer Eppelmann, Wolfgang Gerhardt, Werner Großmann, Gregor Gysi, Walter Hirche, Theodor Hoffmann, Klaus Höpcke, Günther Krause, Egon Krenz, Ingrid Kuschel, Hans-Joachim Lauck, Vera Lengsfeld, Markus Meckel, Hans Modrow, Walter Momper, Helmut Müller-Enbergs, Colin Munro, Fritz Pleitgen, Hermann Rappe, Hans Reckers, Walter Siegert, Günter Schabowski, Herbert Schmalstieg, Friedrich Schorlemmer, Richard Schröder, Christian Schwarz-Schilling, Rudolf Seiters, Michael Sommer, Peer Steinbrück, Eckhard Steinfurth, Eckart Stratenschulte, Klaus Taubert, Horst Teltschik, Ralph Thiele, Wolfgang Thierse, Hans Tietmeyer, Theo Waigel, Hans Watzek und Ralf Wolfensteller.
Hauptbeschreibung
Vorwort und Danksagung Diese umfangreiche Edition von Zeitzeugenaussagen aus Ost- und West-Deutschland zur deutschen Einigung ist eine Dokumentation und ein Vermächtnis der Befragten zugleich. Sie bietet aus der 75-jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und der 40-jährigen Geschichte der DDR Beurteilungen und Charakterisierungen von Akteuren über Akteure, Selbsteinschätzungen sowie Schilderungen von Zäsuren und Wegmarken der deutsch-deutschen Geschichte. Die gelieferten Antworten der Autoren reichen von der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949, der praktisch und symbolisch vollzogenen deutschen Teilung durch den Mauerbau 1961 über Annäherung und Abrüstung bis zur gewaltlosen Grenzöffnung 1989 über den Tag der deutschen Einheit 1990 bis in die jüngere und jüngste Entwicklung des vereinten Deutschlands. Der Schwerpunkt der Befragungen liegt jedoch eindeutig auf der umbruchartigen Entwicklung in der DDR und die politischen Beobachtungen und Entscheidungen in der Bundesrepublik 1989/90. In den letzten 15 Jahren beantworteten uns 54 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen jeweils dutzende, ja bis zu über hunderte ganz verschiedene Fragen. Ein Ziel der Befragung bestand darin, Grenzen und Möglichkeiten, getroffene und nicht gefällte Entscheidungen auf dem Weg zur deutschen Einheit sowie die Umsetzung, Verfahren und Resultate der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen deutsch-deutschen Transformation zu rekonstruieren. Vielfach authentisch, zuweilen selbstkritisch und reflektiert sowie auch sehr subjektiv nachvollziehbar nahmen die Befragten die Gelegenheit wahr, ihre Erlebnisse und Erfahrungen mitzuteilen und Vertrauliches preiszugeben, um mit dem Abstand von dreißig Jahren ihre Erinnerungen an die deutsche Einheit für diese Veröffentlichung bekannt zu machen. Die Gesprächspartner sind von uns in ausgewogener Weise aus Ost- und Westdeutschland ausgewählt worden, sodass Einseitigkeiten und Schieflagen in der Dokumentation vermieden werden konnten. Auch wurde ein breites gesellschaftliches und parteipolitisches Spektrum zu erfassen versucht: Es handelt sich bei den Befragten um Botschafter und Diplomaten, Bürgerrechtler/innen, Theologen, Minister aus den Regierungen von Hans Modrow und Lothar de Maizière, Oppositions- und Regierungspolitiker, Oberbürgermeister und Medienexperten, Gewerkschaftsfunktionäre, Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit und eine einfache Bürgerin. Ein Politikwissenschaftler und ein Historiker verorteten zuletzt die Geschehnisse und wagen Prognosen über den Stellenwert der deutschen Einheit für eine zukünftige deutsch-deutsche wie gesamtdeutsche Geschichtsbetrachtung für nachfolgende Generationen sowie für die noch Miterlebenden. Ein Fazit mit 12 Befunden steht am Ende dieser Zeitzeugen-Edition. Die Befragung der Zeitzeugen erfolgte auf der Basis standardisierter Fragenkataloge. Die Methode der Mündlichen Geschichte ('Oral History') orientiert sich an Biografien, den Individualitäten und der Subjektivität der Beteiligten. Dabei war es uns ein Anliegen, das konkrete Erleben des historischen Geschehens zu ermitteln. Nach Ablauf von Jahrzehnten ist es freilich nicht unüblich, dass neue Erkenntnisse und Interpretationen die Zeitzeugenschaft sowie deren Erinnerungsvermögen beeinflussen können. Durch Quellenkritik, Klarstellungen und Nachfragen war es uns möglich, entsprechende Rückschlüsse zu ziehen und dem Umstand Rechnung zu tragen, Abweichungen zu bemerken, Auffälligkeiten zu dokumentieren sowie Hinweise in Fußnoten zu weiterführender Forschungsliteratur zur Vertiefung anzugeben. Der Historiker Müller-Enbergs hielt im Gespräch 2018 fest: 'Ich weiß, dass jede Geschichtsschreibung ihre Grenzen hat. Ich mache mir da keine Illusionen, obwohl ich selber den Anspruch habe, möglichst exakt zu arbeiten. Ich hoffe, dass die Generation 2030 international denkt, also den Globus mitdenkt und einzelne Phänomene prismenartig reflektiert. Diese Interdependenzen werden bis jetzt nicht z
Inhaltsverzeichnis
Vorwort und DanksagungEinleitungI. Akteure des Übergangs zwischen Erhalt, Reform und Transformation der DDREgon Krenz»Es ist auch das Erbe der DDR, dass sie sich aus der Geschichte verabschiedet hat, ohne dass ein Tropfen Blut geflossen ist.«Hans Modrow»19. Dezember 1989: Dresden war für Kohl der Rubikon, dahinter gab es für ihn kein Zurück mehr. Es ging nur nach vorn, und das hieß für ihn: deutsche Einheit.«Lothar de Maizière»Herr Präsident Gorbatschow, die Zeit, in der ein Ministerpräsident der DDR zum Befehlsempfang kommt, ist vorbei. Ich komme als freigewählter Ministerpräsident einer freigewählten Volkskammer.«Gregor Gysi»Der Westen war für uns so weit weg wie der Mond.«Günther Krause»Kohl war der beste Ossi.«II. DDR-Bürgerrechtler und Mitgestalter der deutschen EinheitMarkus Meckel»Die deutsche Einheit war Ergebnis von Verhandlungen von zwei demokratisch gewählten Regierungen, zum einen miteinander, zum anderen mit den Alliierten des Zweiten Weltkrieges.«Friedrich Schorlemmer»Ab 7. November bekamen wir dann einen Hoffnungsträger, dem wir viel zu verdanken hatten, der aber nicht Michail Gorbatschow, sondern Hans Modrow hieß.«Richard Schröder»Die SED-Verfassung von Honecker war zu einem inkonsistenten Flickenteppich geworden und enthielt nach wie vor vieles, das einer Marktwirtschaft widersprach.«Wolfgang Thierse»Wir staunten über uns, wie viel Mut und Heiterkeit und wie viel Fantasie und Frechheit plötzlich vorhanden waren.«III. Banken, Finanzen, Wirtschaft, Industrie und TreuhandBurkhard Berndt»Die Treuhand selbst glaubte 1990 noch, die Kosten der Wiedervereinigung aus den Verkaufserlösen hereinholen zu können.«Klaus Blessing»Der eigentliche Kracher war nicht die Treuhand, sie wickelte es nur ab, sondern die Währungsunion.«Manfred Domagk»Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es ein Fehler Ulbrichts war, Honecker als >Kronprinzen